Dieser Titel ist kein Wortspiel. Er enthält eine 20-jährige Geschichte. Das Ende dieser Geschichte durfte ich vor wenigen Wochen miterleben- wie den Anfang.

Es begann damit, daß unsere Katze, genauer: Vaters Katze irgendwann verschwunden blieb. Sie war uns vor Jahren zugelaufen, ich hatte sie ans Haus gewöhnt, und dann hatte die Katze sich an meinen Vater gewöhnt und er sich an sie. Es war richtige Trauer – bis eines Tages uns wieder eine Katze zulief....und ich gewöhnte sie wieder einmal ans Haus und mein Vater sich an die Katze und umgekehrt. Die Welt war wieder in Ordnung . Und damit keine zu tiefe Bindung mit folgender Trauer bei erneutem Verlust aufkam, gab mein Vater ihr keinen Namen. Sie war fortan die Mietze und sie blieb fast 20 Jahre – nun gerade.Oder vielleicht deswegen. Ich fand, sie benahm sich wie Garfield und nannte sie je nach Laune so. Und die Katze hörte drauf – je nach Laune oder auch nicht.

Sie war ja nun in ein homöopathische Haus geraten – sozusagen. Sehr schnell fand sich das für sie passende Mittel, wenn sie mal nicht fraß oder sonst wie nicht in Ordnung war. Sie hatte sehr persönliche Eigenschaften. Manchmal fragte ich mich, ob das eine Katze ist oder ein verkappter Hund:

Wenn mein Vater nicht da war, fraß sie nicht. Kam er wieder, erkannte man das daran, daß sie schon stundenlang vorher auf dem Gartenpfosten saß und unverwandt die Straße entlang starrte. Später ging sie ihm entgegen. Nur gewedelt hat sie nie. Miauen tat sie, wenn mein Vater sich mit der Bereitstellung ihres Futters verspätete. Nach Jahren jedoch hatte sie geschaltet, daß das nichts bedeutete und saß regungslos neben ihrem leeren Napf, bis er gefüllt wurde. Fressen tat sie erst, wenn auch mein Vater aß. Sie war oft schnell satt und nahm dann auf einem Stuhl Platz, ihm gegenüber. Den Rest fraß sie später.

Paßte ihr das Essen nicht, wandte sie sich indigniert ab und schüttelte die rechte Pfote.

Mäuse im Haus waren vor ihr sicher. Meine Versuche, sie dafür zu interessieren, beantwortete sie mit einem gelangweilten Blick. Einmal lief ihr unsere Sofa-Maus direkt über die Pfoten. Ich stellte die Maus in der Kamin-Holz-Ecke und setzte die Katze davor...ich bewegte sicherheitshalber die Maus mit einem Holzstab – nichts. Die Maus flüchtete sich unter den Eckschrank – und jetzt bezog die Katze Stellung – stundenlang. Als ob es vorher zu einfach gewesen wäre.
Aber die Maus hatte den längeren Atem und wurde schließlich von unserer Putzfrau mittels Mausefalle und Käse zur Strecke gebracht, Salami wirkte nicht.

Die Mäuse im Garten jedoch hatten schwere Zeiten. Mietze war da voll und täglich erfolgreich und präsentierte ihre Trophäen derart, daß man die Schreie meiner Mutter bis unters Dach hörte.

Übrigens nahm sie ihre Milch nur, wenn der Teller an einer bestimmten Stelle stand. Sie schaute sonst geradezu vorwurfsvoll zu meinem Vater auf. Er versetzte den Teller. Dann gings. Manchmal musste er dabei stehen bleiben, manchmal nicht.
Bei mehr als zwei Menschen in der Wohnung schoß sie unerwartet im Zickzack ins Unauffindliche und tauchte erst wieder auf, wenn der Besuch fort war. Ebenso konnten unerwartet schnelle Bewegungen von egal was sie zu ihren Zickzacks bewegen..

Anfassen ließ sie sich längst nicht von jedem. Ich war überhaupt nicht ihr Typ, wo ich sie doch am besten kannte – oder gerade deswegen.

Zu mir kam sie allerdings nur in Notwehr – wenn sonst niemand da war und wenn es ihr schlecht ging – das war wirklich interessant. Von mir ließ sie sich Globuli hinter die Lefzen schieben.

Im Übrigen liebte sie wie alle Katzen  hohe Orte, also Flügel, Video-Recorder und besonders elektrische warme Plätze. Also wieder der Videorecorder, ein altes Modell, das dann regelmäßig besonders während des Fellwechsels streikte. Hitze lehnte sie einfach ab. Sie ruhte dann auf kühler schattiger Erde neben den Pfingstrosen oder edlem kühlen Marmor.

Mit einem Wort: wir hatten eine Ignatia-Katze. Ein wirkliches Erlebnis.Bei Fotos wandte sie sich meist ab. Oder sie hielt den Kopf schief und das Maul auf. 


Wenn man bedenkt, daß mein Vater recht häufig eine Natrium-Affinität hat, dann wird der Sinn des folgenden Satzes klar:

„das Tier verhält sich zum Herrn wie der Traum zum Träumer“ – das war der Titel eine Vortrags auf der Liga Washington („Man and Dog“).

Ignatia das akute Natrium oder Natrium das chronische Ignatia. So ließ sich hier schon im Voraus ableiten, wen die Katze akzeptierte und wen nicht. Ihre zweitgrößte Liebe war unser letzter Mieter, ein reizender Ignatia-Mann...logisch.

So weit – so gut. Die Welt war in Ordnung, die Katze bekam Ignatia, wenn mein Vater fortging, dann fraß sie weiter. Sie bekam es auch sonst, wenn sie irgendwie nicht in Ordnung war. Es half prompt.
Bis auf jenen Tag, wo sie nicht fraß, obwohl mein Vater da war. Es zeigte sich, daß sie eine Geschwulst am Hals hatte, den Hals schief hielt, Schmerzen litt und deshalb nichts schlucken konnte. Lachesis wirkte prompt. Mein Vater hatte ein halbes Jahr später eine Lachesis-Pneumonie. Logisch..Aber niemals glaubte er vorher an die Homöopathie, wenn sie i h m   half. Erst die Katze und ihre Hals-Geschwulst brachten ihn zum Staunen.

Beide wurden älter und gelassener. Besonders im Alltäglichen. Die Katze wurde ausgesprochen putzfaul, fing an, ihren Kot in der Blumenbank zu vergraben. Es roch unbeschreiblich und mein Vater roch nichts. Unsere Putzfrau sowieso nicht, die ist seit über 11 Jahren Sulfur. Und man merkt es mal mehr, mal weniger.

Die Katze bekam Sulfur, von der Putzfrau, die sie inzwischen als sympathisch eingeordnet hatte. Von ihr nahm sie die Globuli auch. Sie verlangte sie geradezu. Dann wurde sie recht schnell wieder pingelig und verlangte einen gewaschenen Fressnapf. Mein Vater bekam nach drei Tagen Nicht-Rasur Sulfur – und alles war wie vertraut: die Katze saß auf dem Stuhl, während mein Vater aß und starrte ihn zufrieden an. Sie besetzte sein Telefon, später seinen Computer.
Je älter sie wurde, desdo mehr glich ihr Fell einem Flokati. Eine mehrwöchige Sulfur-Kur machte das Fell wieder schön und die Katze wieder schneller. Sie wurde langsamer, über Jahre hinweg. Die Sulfur-Kur war zuletzt ein Dauerzustand. Sie fraß und fraß und magerte immer mehr ab. Um es klinisch zu sagen: sie wirkte kachektisch – aber voll zufrieden.

Mein Vater umsorgte sie nach dem Tod meiner Mutter wie ein weiteres Kind im Haus. Sie schlief zu seinen Füßen, auf und unter seiner Decke....Sulfur breitete sich aus. Unser netter Ignatia-Mieter hatte zufällig einen Reinigungsbtrieb, was sich als sehr nützlich erweisen sollte.

Übrigens brauchte er als erster im Haus Arsen, anlässlich einer Heuschnupfenattacke. Das passte gut zu seinem reinlichen Beruf. Und später zu meinem Vater.

Das ganze letzte Jahr hatte mein Vater eine starke Arsen-Affinität, und die Katze blieb ihrem Sulfur treu. Man vertrug sich also immer
Man vergleiche einmal die beiden Mittel. Zwei große Elemente mit Brenn-Qualitäten, die sich ausgezeichnet vertragen und gut aufeinander folgen. Übrigens entwickelte mein Vater zunehmend eine Affinität zu Aconitum bei akutem Herz-Kaspar. Und Aconit ist ja bekanntlich das akute Sulfur.Man war also zusammen gealtert....

Die letzen Wochen jedoch begann die Katze zu jaulen wie ein gequältes Kind. Erst als ich sie genau beobachtete, fand ich das Mittel für sie:

sie ging schwach, verwirrt unruhig wie im Kreis, ruhelos bei Schmerz und nahm als einzige Nahrung kleine Schlucken Wasser: die Katze war zu Arsen geworden. Sie bekam es als LM-Potenz. Sie schlürfte das Arsen-Wasser gierig, dann gemäßigt, sie wurde ruhiger, fraß gepflegt und jaulte nicht mehr.Ihr Jammern hatte etwas erschreckend Notmäßiges gehabt.

Inzwischen hatte mein Vater den Ignatia-Zustand – mal wieder – erreicht, denn mir war es in meinen direkten Art endlich gelungen, ihm klarzumachen, daß es mit dem Tier zu Ende gehe. Er bewachte sie Tag und Nacht. Endlich überwandt er sich, die Terassentür geöffnet zu lassen. Ich wusste nicht, ob ich der Katze würde weiter helfen können, und das sagte ich ihm auch. Ich habe an so manchem Sterbebett gesessen, aber Tiere ziehen sich dafür ja meist zurück – aber wer weiß? Eine Ignatia-Katze auch?

Ich sollte recht behalten. Sie ging noch einmal muhsam sich schleppend an einem schönen Tag auf die Terrasse, machte einmal ihre Runde – und kehrte ins Haus zurück, um sich hinter meines Vater Computer fast zu strangulieren. Sie blieb 48 Stunden in seinem Computer-Zimmer liegen, ließ ich von meinem Vater regelmäßig etwas Arsen-Wasser reichen, um es schließlich abzulehnen – ganz ruhig, und schließlich ausgehend wie ein Kerze, oder wie eine Uhr, die stehen  blieb.

Die letzte Ablehnung: sie wandte den Kopf und schüttelte die rechte Tatze...eine rührende Reminiszenz an viele Ignatia-Jahre, die meinen Vater glatt Ignatia-reif schlug...

Es war der letzte heiße Tag dieses Sommers und das Katzenbegräbnis wurde entsprechend und schön vollzogen, an ihrem Lieblingsplatz bei den Pfingstrosen. Unser „Rasenmähermann“ für alle Fälle, bestimmte diesen Sonntag, obwohl es Sonntag war:

Auf meine telefonische Anfrage, ob er nicht morgen, denn schließlich war Sonntag, und ich wollte ihn doch nicht stören, replizierte er nüchtern, es sei zu warm, um bis morgen zu warten.
Er ist so herrlich praktisch, und trotzdem sehr mitfühlend, wie er das als Natrium sulfuricum eben gleichzeitig sein kann. Ein wahrer Segen.
Mein Vater nahm den zusammengefallenen Tierkörper noch einmal aus dem genau passenden Tiersarg, einer Verpackungsschachtel der neu gekauften Praxiswaage – wie sinnig, eine „gewichtige“ Angelegenheit, dachte ich - und schaute trauernd beherrscht  zu, wie Natrium sulfuricum behände und sachlich das Grab bereitete.
Und gemeinsam beendeten wir den Lebensabschnitt Mietze mit je einem Aquavit auf dem Rasen, in der stechenden Sonne und waren dank Natrium sulfuricum getröstet. Umso mehr, als am nächsten Tag die Verhältnisse dies nicht mehr erlaubt hätten, nicht nur wegen der Mietze und dem Wetter.

Logisch – man vergleich einmal Natrium und Sulfur: b e i d e s  gleichzeitig leben zu können, ist die wahre Auflösung von Kontrasten. Denn Natrium blickt zurück und Sulfur ins Jetzt und Morgen.
Irgendein kluger Homöopath sagte einmal, daß alle Hausmeister Natrium sulfuricum seien.

An diesem Tag sah ich zum ersten Mal auf meines Vaters Brust einen dicken Pickel mit einem schwarzen Punkt in der Mitte. Er gab zu, daß das jucke.

Ich gab ihm Sulfur...und am nächsten Tag war daraus ein derbes Furunkel geworden, das unter Hepar sulfuris zu einem gewaltigen Karbunkel reifte mit Unmengen an Eiter...Er gab an Nachfragen an, daß das Dings schon länger sei...Die Behandlung dauert noch an, die Schmerzen sind endlich vorbei. Tägliche Quarkpackungen und Hepar sulfuris . Gestern war der dritte nicht rasierte Tag. Mein Vater wird bald wieder sulfur brauchen. Arsen jedenfalls nicht . Außerdem erinnerte ich mein Vater, daß er eine solche Eiterei schon mal als Kind gehabt hatte, unter der Axel, und da habe er auch Hepar sulfuris bekommen.

Außerdem begannen einen Tag nach Mietzes Tod nicht nur das miese Wetter, sondern auch die Handwerker, die das ganze Haus neu streichen. Die Vorarbeiten starten und laufen noch mit einem Höllenlärm und Gestank, wegen der Beize. Und der Lärm wegen der 40 Jahre Efeu. Darin sitze ich nun und versuche Praxis zu machen. Bald werde ich entweder verrückt oder Sulfur.Ums Haus herum sieht es schon derbe so aus. Und die Zigarettenmarken der Maler riechen auch so.

In der Praxis hat sich schon eine Spiegelfliese gelockert und mehre Glühbirnen haben unter dem stromaufreibenden Druck der Reinigungsgeräte den Geist aufgegeben. Der Computer ist derzeit der Einzige.der ohne Beschwerden funktioniert, trotz der Stromschwankungen.  Er hat ja eine entsprechende Sicherungsanlage. Jedenfalls achten die Handwerker das Katzengrab. Es ist mit Steinen hübsch dekoriert und unter einer Holzplatte gesichert. Und die ist voller Verdünnung, Putzresten und stinkt...

Übrigens bin ich sonst in der Praxis eher wie Arsen – rücke alle Bilder gerade....und jetzt habe ich diese Geschichte am Nachmittag geschrieben, mit einem großen Glas Weißbier dabei und im Gartenhaus bei Regen. Der Hunger ist mir vergangen. Sulfur säuft  bekanntlich.

Ob uns wohl ein drittes Mal eine Katze zuläuftt?

NACHSCHLAG: schon passiert - d.h. sie lief dem Rasenmähermann zu und der brachte sie her - im Haus meines Vaters ist inzwischen das (Katzen-)Leben wie gewohnt...sie hat auch schon die gleichen Marotten...